2022-05-18T10:34:36+0000

Der Markt sucht eine Richtung

Die Freude des Wiedersehens war groß. Beim Anblick seiner Gesprächspartner spürte man während der Karosserie- und Schadenstage in Würzburg sofort, was in den letzten Monaten viel zu kurz kam: das Treffen im wirklichen Leben, die persönliche Unterhaltung. Dieses Gefühl hatten am vergangenen Wochenende (13./14.5.) wohl alle schätzungsweise rund 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Vogel Convention Center. Während auf der offiziellen Agenda Themen wie Schadenrecht, lacktechnische Herausforderungen oder die Karosserieaußenhautinstandsetzung standen, ging es in den Gesprächen auf der Fachmesse vor allem um die Auswirkungen der Inflation, um rückläufiges gesteuertes Reparaturvolumen und die Folgen der Mobilitätswende für den Kfz-Reparaturmarkt. ## Wie groß sind die Risiken? Die Werkstattausrüster treibt die Sorge um, dass die Investitionskraft in den Betrieben Zusehens schwindet. „Wir haben eine mentale Krise, die sich zu einer wirtschaftlichen Krise ausweiten kann“, meinte ein Vertriebschef. „Denn immer mehr entscheidungsreife Investitionen werden immer weiter verschoben.“ Corona, der Angriffskrieg auf die Ukraine und die Angst vor einer Rezession drücken auf die Stimmung. Zwar laufen die Geschäft derzeit offenbar noch gut, allerdings sind nahezu alle Manager und auch Betriebsinhaber mit denen schaden.news sprach, aufgrund des permanenten Kostendrucks und der ständigen Preiserhöhungen zerknirscht. Steigende Kosten, zu niedrige Stundensätze und immer noch ein eher schwaches Reparaturvolumen in den K&L-Werkstätten – in Würzburg betrachtete man diese Entwicklung sehr skeptisch. ## Wo liegen die Chancen? Die Herausforderungen für die Betriebe sind so groß wie nie. Elektromobilität, Energieversorgung, Fahrzeugtechnik und Fachkräftemangel sind nur vier Schlagwörter. Hinzu kommt, dass die Liquidität in den Unternehmen rasant abnehmen könnte, meinte ein erfahrener Betriebsinhaber. „Viel Unternehmer stehen vor erheblichen Steuernachzahlungen aus den vergangenen Jahren, die sie vor sich hergeschoben haben. Für Betriebe, die keine Rückstellungen gebildet haben, könnte es jetzt eng werden.“ Doch bei aller Tristesse, es gibt auch Chancen. So rechnen viele Gesprächsteilnehmer damit, dass Privatkunden aufgrund der hohen Inflation ihr Auto länger fahren und deshalb auf Dauer mehr Reparaturen in Auftrag geben. Zudem verschiebe sich Aufgrund der Mangelsituation auf dem Gebrauchtwagenmarkt und den draus folgenden Preissteigerungen auch die Reparaturgrenze. „Vielleicht sehen wir in nächster Zeit weniger Totalschäden. Dann könnten die Betriebe mehr und umfangreicher Instandsetzen.“ Auch die Lieferengpässe auf dem Ersatzteilmarkt hätten einen positiven Effekt für die Werkstätten, hieß es bei einer Diskussionsrunde während der Würzburger Karosserie- und Schadenstage. „Die Fachbetrieben können mehr Arbeitszeit verkaufen, da Karosserieteile eher repariert anstatt durch teure Ersatzteile ausgetauscht werden.“ ## Herausforderungen durch Regressforderungen und Rechnungskürzung der Kfz-Versicherer Auf starkes Interesse bei Betrieben und Kfz-Sachverständigen stießen die Vorträge zum Schadenrecht bei dem ersten großen Branchentreffen des Jahres. Gerade das Thema Regressforderungen gegen Werkstätten und Gutachter verfolgte das Publikum aufmerksam. Branchenanwalt und Schadenrechtexperte Henning Hamann (ETL Kanzlei Voigt) zeigte auf, wie Betroffene darauf richtig reagieren. „94 Prozent der Gerichtsurteile wegen gekürzter Werkstattrechnungen gewinnen die Betriebe, nicht die Versicherer“, erklärte der erfahrene Rechtsanwalt und Geschäftsführer der Kanzlei Voigt, die im Jahr mehrere Tausend entsprechende Klagen für Mandanten aus der Werkstattwelt einreicht. Allerdings gehen Kfz-Versicherer immer häufiger mit Regressforderungen gegen Gutachter und Werkstätten vor. Jedoch, so betonte Henning Hamann: „Vor den Regressklagen muss man sich in Acht nehmen, aber sie sind beherrschbar – sofern auf Basis eines Sachverständigengutachtens repariert wurde. Denn der Geschädigte darf laut subjektivem Schadenbegriff auf das Gutachten vertrauen.“ Diese Tatsache untermauerte er mit mehreren aktuellen Gerichtsentscheidungen, präsentierte u.a. einen ganz aktuellen Hinweisbeschluss zu einer noch bevorstehenden Verhandlung am 1. Juni in dem das Gericht folgendes festhielt: „Das Gericht weist die Klägerin darauf hin, dass derzeit Bedenken bestehen, woraus sich ein Anspruch gegen die Beklagte ergeben soll, insbesondere deswegen, weil diese offensichtlich nach den Vorgaben des Sachverständigen repariert hat.“ ## Wo geht die Reise hin? Gerade das Schadenrecht wird für K&L-Betriebe und Kfz-Sachverständige immer relevanter. Die Unsicherheiten im Markt werden wohl noch weiter anhalten. Welche Folgen die vielen verschiedenen Krisen tatsächlich auf die Branche haben werden zeige sich erst in den nächsten Monaten und Jahren – da waren sich die Gesprächspartner von schaden.news während der Würzburger Karosserie- und Schadenstage weitgehend einig.
Christian Simmert