2021-12-01T13:04:59+0000

Web-TV: „Der wahre Grund für nachhaltiges Handeln ist steigender Kostendruck“

Der Schadentalk im Web-TV am vergangenen Donnerstag hat aufgezeigt, wie facettenreich das Thema Nachhaltigkeit eigentlich ist. Beim Talk in Coburg diskutierte schaden.news-Chefredakteur Christian Simmert mit den Betriebsinhabern Stefan Schubert (Schubert Karosserie + Lack, Coburg) und Marlyn Kropp (Linhart Kfz Elektronik GmbH, Frankfurt) sowie mit Tobias Brefeld, BASF-Manager Autoreparaturlacke und Marke Glasurit Zentraleuropa. In Videosequenzen eingespielt wurden die Statements von Lisa Hannover, Fahrzeuglackiererin von Sternauto Leipzig, die aus Pandemiegründen nicht beim Talk in Coburg vor Ort sein konnte. ## „Wer jetzt den Umstieg auf nachhaltige Prozesse verschläft, wird in Zukunft nicht wettbewerbsfähig sein“ Schnell wurde im Talk klar: Potenzelle Ansätze für nachhaltiges Denken ziehen sich durch alle Bereiche eines K&L-Betriebs, angefangen beim sparsameren Materialverbrauch über die Photovoltaikanlage auf dem Dach bis hin zu einer nachhaltigen Unternehmenskultur. Klar wurde aber auch: Treibende Kraft, auf nachhhaltigere Strukturen im Betrieb zu setzen, sind oft nicht die ökologischen Gründe, sondern vielmehr ökonomische: Der steigende Kostendruck in den Werkstätten zwingt die Unternehmen zu einem Umdenken. Das bestätigte auch Stefan Schubert: Der 40-Jährige hat vor sieben Jahren den K&L-Betrieb seines Vaters übernommen. „Wir müssen in allen Bereichen schauen, wie wir Kosten einsparen können, um beispielsweise die gestiegenen Strom- oder Materialpreise kompensieren zu können“, berichtete er im Talk. Stefan Schubert ist sich sicher: „Wer jetzt den Einsatz zur Nachhaltigkeit verschläft, wird in Zukunft nicht wettbewerbsfähig sein.“ Ähnlich sieht das Marlyn Kropp, 25 Jahre jung, der den Familienbetrieb in Frankfurt in den kommenden Jahren übernehmen wird. Zunächst als Mechanik-Werkstatt gestartet, arbeiten inzwischen 35 Mitarbeiter in dem Full-Service-Betrieb. Die Investitionen nachhaltig zu tätigen, habe bereits sein Großvater als Unternehmensgründer in die Firmenphilosophie eingebracht. Deshalb sei man bereits seit Jahren stetig dabei, die Prozesse im Betrieb zu optimieren und zu verbessern und dadurch Geld einzusparen. „Ein ressourcenschonendes Handeln beginnt bei uns bereits in vielen kleinen Details“, verdeutlichte der Jungunternehmer. Tobias Brefeld brachte im Talk auf den Punkt: „Nachhaltigkeit entsteht durch das Ineinandergreifen von ökonomischen, ökologischen und sozialen Faktoren.“ Der BASF-Manager bewertete die Situation im Unfallschadenmarkt aufgrund der Coronasituation nach wie vor als schwierig. „Umso wichtiger ist der Blick der Werkstätten die Nachhaltigkeit, um den Kostendruck zu reduzieren“, ist er sich sicher. Deshalb sei es der Anspruch des Lackherstellers, die Betriebe dabei zu unterstützen, die Kosten zu senken. „Die Ansatzpunkte sind dabei in jedem Unternehmen unterschiedlich“, berichtet Tobias Brefeld. Deshalb analysiere der Lackhersteller gemeinsam mit seinen Betrieben im Rahmen eines Audits den tatsächlichen Unterstützungsbedarf und fixiere die Bereiche, in denen Prozesse nachhaltiger strukturiert werden können. Dabei spricht Tobias Brefeld aber eindeutig von einem langwierigen Prozess, der weit über das Lackmaterial hinausgehe. ## Produkt- und Prozesseffizienz als Antwort auf steigenden Kostendruck Wie nun aber können Betriebe Prozesse überhaupt nachhaltiger strukturieren? Fahrzeuglackiererin Lisa Hannover hat dazu eine klare Meinung: „Natürlich können wir die Welt nicht von jetzt auf gleich ändern. Aber jeder kann in kleinen Schritten dazu beitragen, nachhaltiger zu handeln, beispielwesweise, indem er Ressourcen einspart." In dieser Hinsicht zeigte sich die 28-Jährige in ihrem Videostatement erfreut, dass auch seitens der Lackhersteller ein Umdenken eingesetzt habe. Beispiel Glasurit: Im vergangenen Jahr hat die Lackmarke mit der Reihe 100 nach eigenen Angaben die derzeit nachhaltigste Produktreihen auf den Markt gebracht. Laut Hersteller biete sie bis zu 20 Prozent weniger Materialverbrauch, beschleunige die Prozesse deutlich und sorge für einen niedrigeren Energieverbauch. Zudem sei der VOC-Gehalt mit 250 Gramm pro spritzfertigem Liter im Markt bisher nicht zu unterbieten. Tatsächlich bestätigten während der Sendung sowohl Stefan Schubert als auch Marlyn Kropp, dass mit dem Material höhere Durchlaufzeiten erreicht und Enerigekosten eingespart werden konnten. Lisa Hannover merkte zudem an, dass durch die zugehörige cloudbasierte Farbtonfindungsplattform die Farbtöne passen würden, so dass eine Beilackierung immer häufiger entfalle. „Das spart auch wieder Material und Zeit“, betonte die Fahrzeuglackiererin. Die Talkteilnehmer waren sich schnell einig: Bei der Diskussion um Nachhaltigkeit spielt die Umwelt nur eine untergeordnete Rolle. Kosten- und Materialeinsparung seien das Hauptargument. „Den Umweltaspekt bekommt man als Benefit dazu“, erklärte Marlyn Kropp. Fakt ist aber auch: „Nur wer auch wirtschaftlich stark aufgestellt ist, kann auch ökologisch investieren.“ ## Welche Rolle spielen Kunden und Auftraggeber? Tobias Brefeld sieht eine treibende Kraft für mehr Nachhaltigkeit aber auch in der Automobilindustrie: „Wenn die OEM ihre Nachhaltigkeitsziele vorschreiben, fordern sie diese auch von ihren Partnern, um weiter mit ihnen zusammenarbeiten zu können.“ Deshalb werde der Nachhaltigkeitsaspekt auch in der Kooperation zwischen Autohäusern und Reparaturbetrieben zukünftig eine stärkere Rolle spielen. Gleiches gelte für die Assekuranzen: Bereits jetzt böten einige Versicherer nachhaltige, grüne Tarife an. Berührgungspunkte gebe es aus dieser Perspektive auch zwischen K&L-Betrieben und Flotten, bei denen der Umdenkprozess nach Erfahrung von Marlyn Kropp und Tobias Brefeld bereits flächendeckend eingesetzt habe. „Die Betriebe, die auf Nachhaltigkeit setzen und dahingehend gute Ansätze bringen, werden künftig auch verstärkt Flotten als Auftraggeber gewinnen können.“ Beispielsweise sei bei einigen Flotten der Umstieg auf E-Mobilität bereits erfolgt. Auch wenn Marlyn Kropp selbst bezweifelt, dass Verbrennerfahrzeuge allzu bald von den Straßen verschwinden werden, hat der Betrieb Linhart bereits einige Kundenersatzfahrzeuge auf Elektroantrieb umgestellt – „einfach um zu signalisieren: Wir gehen mit der Zeit.“ Letztendlich spielt das Thema Nachhaltigkeit nach Erfahrung von Stefan Schubert auch bei Privatkunden eine immer stärkere Rolle. Sein Team und er spüren diesen Trend sehr stark: „Es werden nicht mehr so viele Neuwagen gekauft wie früher. Dafür kommen nun mehr Kunden in unseren Betrieb, um das Fahrzeug beispielsweise durch Unterbodenschutz und Hohlraumversiegelung länger nutzen zu können.“ Hier biete sein Betrieb den notwendigen Service sowie so oft wie möglich die Option „Instandsetzen vor Erneuern“ an. Um Betriebe dabei zu unterstützen, ihre Bereitschaft zu nachhaltigem Handeln als Marketinginstrument einzusetzen, hat Glasurit nach Angaben von Tobias Brefeld ein grünes Zertifikat entwickelt: Gemeinsam mit dem TÜV werden die verschiedenen nachhaltigen Aspekte in einer Werkstatt mittels Fragebogen dokumentiert und der Betrieb im Anschluss zertifiziert. Das sogenannte EcoCert-Zertifikat ist laut Tobias Brefeld eine Möglichkeit, Neukunden zu akquirieren. Ein weiterer Grund, aus dem er Betrieben rät, sich dem Thema zu öffnen und zu schauen, welches Potenzial sich für den Betrieb dahinter verbirgt. ## „Die Mitarbeiter müssen einbezogen werden" Eine wichtige Rolle beim nachhaltigen Denken im Betrieb spielen aber auch die Mitarbeiter, meint Marlyn Kropp: „Diese bei allen Entscheidungen zu neuen Prozessen mit einzubeziehen, ist unerlässlich“, erklärte er im Talk. Insofern stelle sich hier die Frage nach der Art der Unternehmenskultur. Dem pflichtet auch Stefan Schubert bei: Ein wichtiger Vorteil im Umstrukturierungsprozess seines Betriebs sei sein junges und wissbegieriges Team, „das zumindest bereit ist, kostensparend zu arbeiten.“ Zudem beobachteten die Talkteilnehmer die Wechselwirkung von nachhaltigem Handeln und Unternehmenskultur: „Nachhaltigkeit ist bei uns keine Eintagsfliege. Es wird von den Mitarbeitern gelebt“, betonte beispielsweise Marly Kropp. Seine Beobachtung: Gerade moderne Technik, die Prozesse optimiere, trägt zur Mitarbeiterbindung bei. „Unser Team ist begeistert von den Neuerungen im Betrieb, sie arbeiten gern bei uns“, schilderte der 25-Jährige. Das führe auch zu einem veränderten Image des Lackierberufs – und die Investition in moderne, ressourcensparende Technologie wird somit auch eine Investition in die Zukunft, wenn es um die Gewinnung von Nachwuchskräften geht. Andersherum ist eine nachhaltige, offene Personalpolitik auch Voraussetzung dafür, loyale Mitarbeiter zu halten. Wertschätzung und Fehlerkultur sind in diesem Sinne ebenfalls Teil einer gelungenen Nachhaltigkeitsstrategie, wurde in der Runde deutlich. ## Nachhaltiges Denken ist ein dynamischer Prozess Stefan Schubert ist sich sicher: „Nachhaltiges Handeln ist bis jetzt in zahlreichen K&L-Betrieben noch nicht im Fokus. Das wird sich aber in den kommenden Jahren rasant ändern.“ Der 40-Jährige plant derzeit intensiv, um den bestehenden Betrieb so nachhaltig wie möglich zu gestalten. LED-Anlage, Richtbank, Ausbeulsystem und E-Ladestation sind bereits in die Prozesse integriert. Eine neue Lackierkabine und eine Photovoltaikanlage sind schon in Planung. Auch Marlyn Kropp setzt auf stetige Weiterentwicklung: „Wir werden auf keinen Fall stehenbleiben, sondern uns immer weiter verbessern, um uns als Team nachhaltiger aufzustellen und dem Markt dadurch immer einen Schritt voraus zu sein.“ Tobias Brefeld betonte abschließend: „Kein Marktteilnehmer wird daran vorbeikommen, zukünfig nachhaltiger zu handeln. Entscheidend ist, an welchen Ecken die Stellschrauben angesetzt werden.“ Hier gehe die BASF mit gutem Beispiel voran: „Sämtlicher innerbetrieblicher Verkehr wurde bereits auf alternative Antriebe umgerüstet. Nun sollen die Dienstwagen folgen.“
Ina Otto