2021-07-21T13:06:58+0000

Die digitale Werkstatt: Sinnvoll und unvermeidlich

Fahrzeugannahme per Fahrzeugscanner und Werkstattaufträge digital per Tablet steuern: Im hochmodernen Lackier- und Karosseriezentrum Starlack der Senger Gruppe in Rosbach ist der Reparaturprozess bereits extrem digital umgesetzt: Ein idealer Rahmen für schaden.news Chefredakteur Christian Simmert, um mit seinen Talkgästen darüber zu diskutieren, warum digitale Arbeitsabläufe in K&L Betrieben zum zukünftigen Standard werden dürften. Praxisnah vermittelten Mario Böhm, Geschäftsführer Autohausgruppe Senger, Sven Aßmann, Geschäftsführer Restemeier GmbH sowie Jochen Kleemann, Geschäftsführer PPG Refinish Deutschland, dass sich jeder Betrieb der Digitalisierung stellen muss. ## Kunden und Schadensteuerer fordern digitale Prozesse Dass Versicherer und Schadensteuerer künftig immer mehr auf digitale Tools und Abläufe setzen, wurde bereits in der letzten Sendung des Schadentalk im Web-TV deutlich. Wenn etwa die HUK-Coburg an einer Online-Terminvereinbarung arbeitet und die Innovation Group die Online-Plattform Gateway entwickelt, wird klar: Die Schadensteuerer erwarten künftig auch von den K&L-Werkstätten immer mehr digitales Know-how. Doch nicht jeder Betrieb ist darauf vorbereitet und viele fühlen sich mit der Umsetzung überfordert. Dabei können gerade kleinere Betriebe von solchen Unternehmen lernen, die sich bereits digital aufstellen und Erfahrungen sammeln. ## Digitale Prozesse brauchen sorgfältige Planung Selbst ein großes Lackier- und Karosseriezentrum, wie der Senger-Starlack-Betrieb in Rosbach, wurde nicht selbstverständlich und „einfach so“ mit digitalen Arbeitsabläufen geplant. Und auch bei Starlack müssen nach wie vor die analogen Anforderungen mancher Kunden erfüllt werden, berichtete Mario Böhm. „Deshalb bildeten gute analoge Prozesse die Grundlage für die digitalen Arbeitsabläufe. Und diese haben wir gemeinsam mit den Mitarbeitern in speziellen Prozess-Workshops erarbeitet“, beschreibt der Geschäftsführer die Planung. ## Der Reparaturprozess wird schneller Konkret bedeutet es, dass die bekannten Arbeitsschritte der Werkstattwelt so umgesetzt werden, dass es den klassischen Reparaturablauf nicht verändert, sondern lediglich in digitale Hilfsmittel überführt. Das beginnt bei Senger bereits in der Fahrzeugannahme. Die Kundenautos werden durch durch einen Fahrzeugscanner gefahren, der das Reifenprofil, den Unterboden sowie die Außenhaut der Fahrzeuge dokumentiert. Eine Software analysiert per Künstlicher Intelligenz die Daten und liefert umgehend die Auswertung. Das Ziel: Der Serviceberater kann sofort mit dem Kunden oder der Versicherung das weitere Vorgehen planen. Die Informationen des Scans landen zudem in einer digitalen Akte. Auch der anschließende Reparaturprozess läuft über eine Software ab, die eigens auf die Anforderungen bei Senger angepasst wurde. So verfügt das Unternehmen über eine lückenlose Dokumentation der Aufträge: Von der Annahme, über Nachkalkulationen bis hin zur Rechnungsstellung. ## Mitarbeiter kommunizieren besser mit Tablets Trotz automatisierter Fahrzeugannahme bleibt die Kompetenz der Mitarbeiter bei der Reparatur der wesentliche Faktor. Und damit die Arbeitsschritte zwischen den Abteilungen reibungslos und effizient ablaufen, hat das Team um Mario Böhm alle Mitarbeiter mit iPads ausgestattet: Werkstattleiter und Mitarbeiter kommunizieren ausschließlich per iMessenger. Ein „Daumen hoch“-Emoji reicht beispielsweise, um einen Auftragseingang zu bestätigen. Auch Sven Aßmann setzt in seinem Betrieb auf Mitarbeiter-Tablets. Die digitale Kommunikation verkürzt Wegezeiten, verbessert die Dokumentation und beschleunigt die Verteilung der Arbeit. „Die Belegung der Kabine wird dadurch optimaler und der Durchsatz steigt fast automatisch", zeigten sich die Betriebsinhaber während der Sendung überzeugt. Gerade die lückenlose Dokumentation wird zudem für Versicherer, Schadensteuerer und Flottenkunden immer wichtiger. Mario Böhm: „In Zukunft wird das Übermitteln des Reparaturstatus und die Transparenz von Instandsetzungsprozessen entscheidender sein." ## Keine Frage der Betriebsgröße Allerdings haben bei weitem noch nicht alle Betriebe ihre Prozesse so umfangreich digitalisiert, wie es bei Restemeier GmbH und dem Starlack-Zentrum in Rosbach der Fall ist. Jochen Kleemann berichtet aus Erfahrung, dass viele Betriebe noch zögern auf den digitalen Zug aufzupringen. „Ob Betriebe in Digitalisierung investieren, hängt häufig noch an den digitalen Standards von Kunden und Kooperationspartnern der Werkstätten ab. Gerade in der Schadensteuerung steigt die Erwartungshaltung von Versicherern und Schadensteuerern“, meint Jochen Kleemann. Der PPG Geschäftsführer betonte, dass es bei Digitalisierung weder auf die Größe noch der Ausrichtung eines Betriebs ankomme. Zudem ist nach seiner Überzeugung der digitale Fortschritt der Branche nicht aufzuhalten. „Die Digitalisierung wird nicht vorüberziehen, sondern noch zunehmen. In fünf Jahren wird sie eine Notwendigkeit sein, die einfach zum Markt dazugehört“, erklärte der PPG Geschäftsführer. Bevor man den digitalen Einstieg macht, rät Jochen Kleemann jedoch Betrieben dazu sich im Vorfeld zu den spezifischen Voraussetzungen und Anforderungen im eigenen Unternehmen beraten zu lassen. ## Wer in Digitalisierung investiert bleibt wettbewerbsfähig Die Schlagworte wie Scanner, Tablets und Software werfen allerdings bei vielen Betrieben unmittelbar die Frage auf, wieviel sie die Digitalisierung kostet und ob sich die Investition überhaupt lohnt. Allein den von Senger installierten Fahrzeugscanner beziffert Mario Böhm mit einem Preis von 100.000 bis 150.000 Euro. Der endgültige Preis richte sich nach der jeweiligen Ausstattung. So seien etwa der Reifen- und Unterbodenscanner eigenständige Module. Die automatische Mischbank Moonwalk von PPG liegt preislich bei 22.500 Euro, wie Jochen Kleemann erklärte. Die Talk-Gäste hoben allerdings auch hervor, dass man den Investitionsaufwand nicht ausschließlich über die Amortisierung durch Aufträge betrachten könne. Die einhelllige Meinung der Talk-Gäste: Es muss nicht immer die höchste Ausbaustufe der digitalen Möglichkeiten sein – aber wer den digitalen Sprung nach den eigenen Bedürfnissen wagt, bleibt zukunftsfähig. ## Positive Nebeneffekte fürs Geschäft Digitale Werkzeuge können aber auch über das reine Tagesgeschäft hinaus einen positiven Effekt für Betriebe haben. So nutzt Senger beispielsweise den Fahrzeugscanner, um mit Kunden über mögliches Zusatzgeschäft bei Reifen oder Smart Repair ins Gespräch zu kommen. „Mit dem wachsenden Anteil an Elektro-Fahrzeugen wird der Serviceanteil unserer Werkstätten zurückgehen. Deshalb suchen wir heute schon nach Möglichkeiten, um Zusatzgeschäfte zu generieren“, berichtet Mario Böhm. Ein Ansatz, dem sich auch Sven Assmann anschloss: „Wir müssen uns unabhängiger aufstellen und mehr Ertragsquellen erschließen. Dazu bietet die Digitalisierung viele Möglichkeiten.“ ## Senger kennt keinen Fachkräftemangel mehr Die Digitalisierung von Arbeitsprozessen trägt auch dazu bei, dass K&L-Betriebe attraktiver werden. Eine Meinung, die Jochen Kleemann in der Talkrunde vertrat und Sven Aßmann und Mario Böhm bestätigten. „Seit dem Neubau des Rosbacher Standorts, haben wir deutlich mehr Bewerbungen an qualifizierten Fachkräften“, bekräftigte Mario Böhm. Sven Aßmann ergänzte, dass auch sein Unternehmen für junge Mitarbeiter seit der digitalen Umstellung attraktiver geworden sei. Jeder Auszubildende erhalte ein eigenes Tablet, mit dem auch die Berichtshefte digital geführt werden. „Junge Menschen wachsen in einer digitalen Welt auf. Dem müssen wir uns anpassen“, ist sich der Geschäftsführer sicher. ## Die Zukunft wird digitaler Als Resümee waren sich die Talk-Gäste einig, dass die Digitalisierung ebenso notwendig wie hilfreich ist. Sven Aßmann zeigte sich überzeugt, dass die Betriebe gefordert sind sich den zunehmenden Herausforderungen der Digitalisierung zu stellen. Denn auch die Fahrzeuge seien mit immer mehr Elektronik ausgestattet, die den Werkstätten neue Kompetenzen abverlange. Auch Jochen Kleemann sieht die Branche im Umbruch. Zwar gibt es seiner Ansicht nach weiterhin Beschichtungen, allerdings würden sich die technischen Voraussetzungen ändern. Mario Böhm verwies darauf, dass sich die Mobilität im Allgemeinen in den kommenden Jahren verändern werde. Werkstätten und Kfz-Betriebe würden immer mehr zu Mobilitätsdienstleistern. Sich diesem Trend anzupassen gehe nicht ohne digitale Prozesse und Werkzeuge, ist sich der Senger Geschäftsführer sicher. Als Fazit zog die Talkrunde, dass es hilfreich ist frühzeitig mit der Digitalisierung zu beginnen, um zu lernen und Erfahrung zu sammeln.
Holger Schweitzer