2021-06-23T10:48:41+0000

HIS-Datei: „Brandheiß und sehr gefährlich“

Das Hinweis- und Informationssystem der Versicherungswirtschaft, kurz HIS genannt, soll der Aufdeckung und Prävention von Versicherungsbetrug und -missbrauch dienen, heißt es per Definition. Jedoch ist das HIS in jüngster Zeit auch immer wieder Basis für Versicherer und Prüfdienstleister, um im Falle eines Vorschadens die Zahlung von Reparaturkosten zu verweigern. „Das ist brandheiß und sehr gefährlich“, betonte Rechtsanwalt Christian Heid im 3. Automotive Online Forum der ETL Kanzlei Voigt. Der Leiter der Niederlassung Frankfurt am Main erklärte den über 450 Teilnehmern deshalb, was es im Umgang mit dem HIS zu beachten gilt. (Allgemeine Informationen zum HIS haben wir für Sie in einer Infobox zusammengefasst). ## 43 Prozent hatten bereits Probleme mit der HIS-Datei bei der Schadenregulierung „Eins steht fest: der Versicherer wird den ‚HIS-Joker‘ immer wieder ziehen“, betonte der Rechtsexperte. Aktuell hätte die HIS-Datei – wie eine Kurzumfrage während des Live-Streams zeigte – zwar nur 43 Prozent der Teilnehmer schon einmal Probleme bei der Schadenregulierung bereitet. Jedoch, da ist sich Christian Heid sicher, „da wird noch viel mehr auf uns zukommen“. Vor allem bei fiktiven Abrechnungen, aber auch wenn der Reparaturnachweis nicht sachgemäß erfolgte, komme die HIS-Datei den Versicherern zugute. Denn bei einem erneuten Unfall kann und – wie die Praxis zeigt – wird sich die Versicherung auf den in der HIS gespeicherten Vorschaden beziehen und eine Schadenregulierung verweigern. ## Konkrete Tipps für Werkstätten Unfallreparaturbetriebe sollten sich deshalb, so appellierte der Rechtsanwalt eingehend, an folgende Tipps zur Vorgehensweise halten: „Es gibt keine Alternative, fragen Sie die HIS-Datei ab, denn die Fahrzeughistorie muss nicht zwingend deckungsgleich mit der HIS-Datei sein.“ Zudem sollten sich Werkstätten „die Unfallfreiheit des Fahrzeuges vom Kunden bestätigen lassen – möglicherweise auch schriftlich“, rät Christian Heid und betonte in dem Zusammenhang, „dass der Kunde auch aufgeklärt werden sollte, was das Problem dahinter ist – nämlich die Vorschadenproblematik.“ Im Falle einer fiktiven Abrechnung und einer anschließenden Reparatur in einer Kooperationswerkstatt – eine Praxis, die besonders bei Flotten durchaus beliebt sei – müsse die fachgerechte Reparatur durch einen Sachverständigen festgestellt werden. Denn „anders kann der Reparaturnachweis nicht geführt und der Eintrag in der HIS-Datei nicht gelöscht werden“, betonte Christian Heid. ## Löschungsanspruch wahrnehmen Zu guter Letzt sollten die Geschädigten nach dem erfolgten Reparaturnachweis unbedingt ihren „Löschungsanspruch“ gegenüber dem Versicherer geltend machen und per Anwalt dafür sorgen, dass die Löschung auch bei den dahinterstehenden Prüfdienstleistern erfolgt. Ob diese Maßnahmen letztlich ausreichen, um im Vorschadenfall zu vermeiden, dass Versicherer die Zahlung verweigern, vermochte Christian Heid zum aktuellen Zeitpunkt nicht zu sagen. „Aber das ist aktuell das, was Sie tun müssen, um sich bestmöglich aufzustellen.“ ## Umsatz und Ersatz mit Mietwagen steigern Im Anschluss gab Stephan Schmid, Fachanwalt für Verkehrs- und Versicherungsrecht und Niederlassungsleiter in Kassel und Bielefeld, Tipps zum Umgang mit Mietwagen. Demnach gilt für den Geschädigten ein Grundsatz auf Erhalt der unfallbedingt ausgefallenen Mobilität – z.B. in Form eines Mietwagens. Ausnahmen bildet hier die sogenannte Schadensminderungspflicht. Diese tritt zum Beispiel dann ein, wenn der Pkw durch Urlaub oder eine Verletzung ohnehin nicht genutzt hätte werden können, sofern nicht Drittnutzer – sprich Familienmitglieder – das Fahrzeug ebenfalls nutzen. ## Vorsicht bei der Zulassung Um den Vorwurf der „ersparten Aufwendungen“ und etwaige Kürzungen im Nachgang durch Versicherer zu vermeiden, sollten Werkstätten immer ein klassenniedrigeres Fahrzeug vermieten. Zudem sei es enorm wichtig, so Stephan Schmid, die Fahrzeuge als Selbstfahrervermietfahrzeuge anzumelden. Denn andernfalls könnte der Werkstatt vorgeworfen werden, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, da Selbstfahrervermietfahrzeuge beispielsweise häufiger zur Hauptuntersuchung müssen und versicherungstechnisch höher einzustufen sind. „Dieser Vorteil hat zur Folge, dass eine Unterlassungserklärung verlangt werden kann, es handelt sich zudem um einen Bußgeldtatbestand.“ Dies gelte selbst dann, wenn das Fahrzeug dem Kunden kostenfrei zur Verfügung gestellt wird, bestätigte das Oberlandesgericht Brandenburg in einem Urteil. Weitere Details zum Thema – z.B. zur Kalkulation der Mietwagenkosten sowie zum Sonderfall der sogenannten 20-Kilometer-Grenze lesen Sie demnächst in unserem Newsletter. ## Kundentypen: Familie versus Macho Beinahe schon Tradition hat neben nutzwertbringenden Tipps auch die Vorstellung verschiedener Kundentypen durch Key Account Managerin Jasmin Rofall. Während „die Familie“ hoch emotional auf einen Unfall reagiert und sich in diesem Fall Sicherheit und Fürsorge von einem Fachexperten wünscht, ist es beim Kundentyp „Macho“ genau andersrum. Typisch für diesen Kundentyp sei, dass Frauen als Ansprechpartner in Werkstätten oder Autohäusern nicht ernst genommen und Männer als Konkurrenz wahrgenommen werden. Die Expertin rät im Umgang mit einem „Macho“ zu klaren Aussagen und der sogenannten „Auch-Fachmann-Methode“, die dem Kunden einerseits Fachkundigkeit suggeriert, jedoch andererseits dafür sorgt, dass der Kunde nicht widersprechen kann.
Carina Hedderich