2019-11-19T14:01:16+0000

In sechs Sekunden zum Totalschaden

In den Momenten vor dem Crash herrscht gespannte Stille. Feuerwehrmänner knien vor der Sicherheitsbande aus Beton. Die Presseleute halten die Kameras im Anschlag, das Motiv im Objektiv, bereit, abzudrücken. Niemand ist auf der asphaltierten Testbahn. Niemand, außer dem „Testminister“ Peter Rücker. Seine offizielle Bezeichnung lautet Fachgebietsverantwortlicher Crash Tests bei DEKRA. Konzentriert lauscht er in sein Funkgerät. Endlich – das Signal zum Start schnarrt durch den Kanal, verstärkt durch die Startsirene. Das Brummen des 1000 PS starken Leopard Panzermotors zerreißt die Stille. ## „Klassisches Szenario eines Landstraßen-Unfalls“ Dann geht alles ganz schnell. Mit mehr als 70 Kilometern pro Stunden zieht eine in den Asphalt eingelassene Seilwinde das Fahrzeug über die Testbahn. Weniger als fünf Sekunden dauert es, bis der silbergraue Nissan Leaf ungebremst auf den rosa Pfeiler aufprallt. „Ein ganz klassischer Landstraßenunfall“, wird DEKRA Unfallforscher Markus Egelhaaf das Szenario später erläutern. Bewusst habe das DEKRA Team diese Art des Verkehrsunfalls mit häufig tödlichem Ausgang gewählt. ## Deformation in Zeitlupe Funken schlagen aus dem Boden. Ein Knall, ein Dreh des Fahrzeugs um die eigene Achse. Stoßstange, Spiegelverkleidungen, Scheinwerfer, undefinierbare Plastikteile verteilen sich wie in Zeitlupe auf dem Asphalt. Zurück bleibt nur ein verformter Haufen dampfendes Blech, Kabel und Mechanik-Teile. ## Augenmerk auf Bergungs- und Rettungsmaßnahmen Die Einsatzkräfte der Feuerwehr durchschlagen zuerst die Stille des Zuschauerblocks und schwärmen zum Fahrzeug aus, um es genauer in Augenschein zu nehmen: Hat sich das Hochvoltsystem automatisch abgeschaltet? Trat Flüssigkeit aus? Gebrannt hat das Fahrzeug immerhin nicht. Herauszufinden, wie sich Elektrofahrzeuge nach einem Crash verhalten, war das eigentliche Ziel des Tests im schleswig-holsteinischen Neumünster, der Anfang November vor rund 170 Gästen durchgeführt wurde. „Bei E-Fahrzeugen handelt es sich um Hochvoltanlagen. Welche Auswirkungen ein Unfall auf Bergungs- und Rettungsmaßnahmen hat, war eine wichtige Fragestellung der Testreihe“, erklärt Unfallforscher Markus Egelhaaf. ## Quarantäneplatz für abgeschleppte verunfallte E-Fahrzeuge Denn die Hochvoltbatterie enthält gerade für die Fachleute, die zuerst am Unfallort eintreffen, Herausforderungen. „Die Retter müssen beispielsweise darauf achten, dass sie beim Schneiden der Karosserie die Akku-Komponenten nicht beschädigen – das könnte zu chemischen Reaktionen und in der Folge ebenfalls zu Bränden führen.“ Und auch für abschleppende Unternehmen ist die Kenntnis, dass es sich beim Unfallfahrzeug um ein elektrisch betriebenes handelt, entscheidend. „Auch noch Stunden oder gar Tage später kann das Unfallfahrzeug in Brand geraten. Schlepper dürfen das Fahrzeug beispielsweise nicht durch einen längeren Tunnel transportieren. Abgeschleppte Fahrzeuge sollten daher unbedingt auf einen Quarantäneplatz im Freigelände verbracht werden“, nennt der Experte einige grundsätzliche Punkte. ## „Serien-Elektrofahrzeuge sind sicher“ Der Test zur Sicherheit an Elektrofahrzeugen entstand in Zusammenarbeit mit der Verkehrsunfallforschung der Universitätsmedizin Göttingen. In diesem Zusammenhang testete DEKRA insgesamt vier E-Fahrzeuge auf ihr Crashverhalten, drei Nissan Leaf und einen Renault Zoe. In drei der vier Crash-Szenarien ließen die Experten Elektrofahrzeuge seitlich mit dem Pfahl kollidieren: den Renault Zoe mit 60 km/h, den Nissan Leaf (Produktionsserie 2010 - 2017) mit 60 und zusätzlich 75 km/h. Hinzu kam im vierten Szenario der Frontal-Anprall eines Nissan Leaf mit 84 km/h. Fazit: Das Schadenbild ähnelte dem von konventionell angetriebenen Fahrzeugen. Die Hochvoltsysteme schalten zuverlässig ab und auch bei starker Deformation der Fahrzeuge blieb ein Brand aus. „Es lässt sich also festhalten, dass Serien-Elektrofahrzeuge ebenso sicher sind wie konventionell betriebene Fahrzeuge. Auch die Retter der Feuerwehr brauchen keine besonderen Maßnahmen zu ergreifen“, erläutert Markus Egelhaaf. ## Exklusive Einblicke ins Crash Test Center Dass die Experten der DEKRA ihre Türen für Besucher öffnen und Tests durch die Presse begleiten lassen, ist dabei eine Seltenheit. Exklusive Einblicke in das DEKRA Crash Test Center erhalten Sie in unserem Video.
Ina Otto