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2023-04-26T10:46:04+0000

Web-TV: „Das Handwerk ist bunt, da ist für alle Platz“

Die Fachkräftesituation in der K&L-Branche ist angespannt. Dennoch haben nach wie vor einige Betriebe Vorbehalte, Frauen in der Werkstatt einzustellen. Doch können es sich Betriebe überhaupt noch leisten, auf weibliche Fachkräfte zu verzichten? Das war nur eine von vielen Fragen, die in der Web-TV-Sendung am 20. April von den Moderatorinnen Carina Hedderich und Ina Otto gemeinsam mit vier Talkgästen diskutiert wurden. Mit dabei in der Runde im K&L-Zentrum Grundt in Buchholz in der Nordheide: Die Betriebsinhaberin Isabelle Grundt, die das 85-köpfige Team gemeinsam mit ihrem Vater Holger Grundt führt, sowie Corina Müller, Fahrzeuglackierermeisterin und Werkstattleiterin bei BMK Müller in Marbach am Neckar. Ebenfalls beim Talk dabei waren Juliane Randhahn, Key Account Managerin beim Klebstoffspezialisten Sika, sowie Ingeborg Totzke. Sie ist die Geschäftsführerin im Verband Farbe Hessen und setzt sich seit mehr als 30 Jahren für die Belange junger Lackierer und Maler ein. ## Welche Vorbehalte gibt es gegenüber weiblichen Fachkräften? Im Rahmen der Diskussion wurde schnell deutlich, dass die vier Talkgäste in ihrer beruflichen Karriere ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Vorbehalten gegenüber weiblichen Fachkräften gesammelt haben. So meinte Isabelle Grundt, dass ihr schon eine gewisse Skepsis entgegengeschlagen sei, allerdings nicht wegen ihres Geschlechts: „Als Unternehmerkind, also 'Tochter von' oder 'Sohn von' einem Betriebsinhabern muss man schon von vornherein gegen einige Vorbehalte ankämpfen“, meinte sie. Werkstattleiterin Corina Müller verweist auf Vorbehalte speziell gegenüber Frauen vor allem am Anfang der Fahrzeuglackierer-Ausbildung: „Als junge Frau stehst Du stärker im Fokus: Es wird mehr geschaut, was du machst und wie man bei der Arbeit vorgeht. Wenn man aber offen nachfragt und seine Sache gut macht, dann erhält man auch schnell Anerkennung.“ Wie stark die Meinungen in den K&L-Betrieben teils auseinandergehen, berichtet Juliane Randhahn während des Talks: „Die einen meinen, Frauen würden Unruhe ins Team bringen. Werkstätten mit gemischten Teams erzählen hingegen, dass die Mischung für mehr Ausgleich sorgt.“ Eine der häufigsten Sorgen von Seiten der Betriebe sei hingegen eine mögliche Schwangerschaft und der damit einhergehende – möglicherweise sofortige – Ausfall der Arbeitskraft. Die Key Account Managerin weist jedoch darauf hin, dass der Betriebsinhaber im Falle eines Beschäftigungsverbot über die U2-Umlage versichert und nicht lohnfortzahlungspflichtig ist. Dennoch, so Juliane Randhahn, habe sich die Anzahl von Frauen in K&L-Betrieben in den vergangenen Jahren stark erhöht. Das bestätigt auch Ingeborg Totzke. Die Geschäftsführerin beim Verband Farbe Hessen lieferte beispielhaft für den hessischen Verband klare Zahlen: Von 25 Innungen sind fünf von Frauen geführt. Zudem sei auch die Handwerkskammerpräsidentin von Frankfurt eine Malerin/Lackiererin. ## Wie stellt sich die Fachkräftesituation in K&L-Betrieben dar? Ohne Frage bleibt die Ausgangssituation, nämlich die Lage hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Fachkräfte im Unfallschadenmarkt, weiter angespannt. [Laut den Ergebnissen einer schaden.news Konjunkturumfrage](https://schaden.news/de/article/link/43361/konjunkturumfrage-ergebnisse-fachkraefte) sind vor allem Partnerwerkstätten mit dem Fachkräftemangel betroffen. Gesucht werden von allen Betrieben vor allem
Karosseriebauerinnen und Karosseriebauer sowie Fahrzeuglackiererinnen und Fahrzeuglackierer. Zudem suchen Betriebe mit Schadensteuerung vor allem Serviceberater und Serviceberaterinnen. Isabelle Grundt nimmt sich und ihren Betrieb von der angespannten Fachkräftesuituation nicht aus. Allerdings sei es gerade deshalb erforderlich, selbst auszubilden. Der Familienbetrieb in Buchholz bündelt seine Energien bei der Suche nach Azubis deshalb vor allem im Bereich Karosseriebau. Auch Corina Müller bekräftigte, dass die Werkstätten selbst aktiv sein müssen, um an Nachwuchs zu kommen: „Zum einen durch Social Media, zum anderen durch praktische Einblicke und die Möglichkeit, selbst Hand an zulegen.“ Die Fahrzeuglackierermeisterin und ihre Schwester Michaela, die den Familienbetrieb leitet, setzen deshalb ganz bewusst auf praktische Mitmach-Angebote bei Berufsorientierungstagen. „Wir nehmen zum Beispiel eine Motorhaube mit, an der sich die Jugendlichen dann mal ausprobieren dürfen. Und außerdem sind unsere eigenen Azubis immer mit vor Ort. So erreichen wir junge Menschen viel besser.“ Thomas Aukamm, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands für Karosserie- und Fahrzeugtechnik, appellierte in einem Videostatement während der Sendung zudem an K&L-Betriebe, selbst auszubilden: „Nur 50 Prozent der ZKF-Mitgliedsbetriebe bilden wirklich aus, nur drei Prozent der Azubis bundesweit sind Frauen“, so der ZKF-Hauptgeschäftsführer. Hier bestehe noch großes Potenzial für die Betriebe, junge Menschen und vor allem junge Frauen anzusprechen. Bei den Fahrzeuglackierern ist der Anteil an weiblichen Auszubildenden in den letzten Jahren hingegen gewachsen, erklärt BFL-Präsident Steven Didssun. Dennoch verzeichnete die Bundesfachgruppe einen generellen Rückgang der Auszubildendenzahlen um 10 Prozent in den vergangenen Jahren. Um diesem Negativtrend entgegenzuwirken strebt die Bundesfachgruppe Fahrzeuglackierer im Rahmen ihrer Neustrukturierung deshalb auch eine Neuordnung des Berufsbildes an, wie der Präsident im Videoeinspieler erklärte. Dem gegenüber steht auf Landesebene in Hessen laut Ingeborg Totzke ein Aufwärtstrend: „In Hessen hatten wir bei den Malern und Lackierern in 2021 mehr Auszubildende als 2014. Wir haben in den vergangengen Jahren viel getan, um den Ausbildungsanteil bei den Malern und Lackierern zu erhöhen – und das macht sich langfristig bezahlt“, berichtet sie. Das spiegele sich auch an der hohen Frauenquote von 13 Prozent bei den Fahrzeuglackierern wider. „Die jungen Frauen wollen etwas leisten, sind sehr ehrgeizig und gut organisiert. Bei den Top-Leistungen bei den Gesellenprüfungen und Leistungswettbewerben liege die Frauenquote mittlerweile sogar bei 50 Prozent.“ ## Wie können Betriebe, Verbände und Ausrüster junge Menschen fürs Handwerk begeistern? Einen Einblick in die Nachwuchssuche bei einem Ausrüster gab Juliane Randhahn am Beispiel Sika. Im Rahmen eines Traineeprogramms können junge Menschen in alle Unternehmensbereiche des Kleb- und Dichtstoffspezialisten reinschnuppern, die Übernahmequote nach Beendigung des Programmes liegt laut Juliane Randhahn bei nahezu hundert Prozent. Doch egal ob beim Ausrüster oder in den K&L-Bertrieben: Die
Key Account Managerin sieht es kritisch, Frauen im Rahmen der Nachwuchs- und Fachkräfteakquise anders anzusprechen als Männer. „Wir müssen als Unternehmen und Verbände einfach selbstverständlicher mit Männern und Frauen gleichermaßen bei der Nachwuchsakquise umgehen, um ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Fachkräften im Handwerk zu erreichen.“ Dafür erhielt sie von den anderen Talkgästen starken Zuspruch. Ingeborg Totzke stellte klar: „Das Handwerk ist bunt, da ist für jeden Platz und wir müssen auch jeden ansprechen – egal wo er oder sie herkommt. Wichtig ist, wo er oder sie hinwill.“ Hierbei seien ihrer Meinung nach auch weniger die Betriebe die Hürde, die keine Frauen einstellen möchten – sondern eher die Tatsache, dass sich Frauen oft nicht vorstellen können, in einen handwerklichen Beruf hineinzugehen. „Wir müssen einfach mehr positive Beispiele bringen, die in die Öffentlichkeit kommen“, meinte Ingeborg Totzke. Und Juliane Randhahn fügte hinzu: „Zugleich sollten wir Perspektiven aufzeigen, was junge Menschen nach der Ausbildung in ihrem Bereich arbeiten können und wie viele tolle, top-moderne Betriebe es da draußen gibt.“ An dieser Stelle müsse man auch die Eltern erreichen, gab Isabelle Grundt zu bedenken. Denn aus der Erfahrung heraus weiß sie, dass Eltern oft sehr meinungsgebend auf Jugendliche einwirken. „Diese müssen wir mit ins Boot holen und zeigen, dass Handwerk wieder goldenen Boden hat und wir Betriebe ein topmodernes Arbeitsumfeld bieten können“, betonte Isabelle Grundt. ## Fachkräftegewinnung: „Die klassische Bewerbung hat ausgedient“ Ein weiterer wichtiger Aspekt neben der Azubisuche ist die Akquise fertig ausgebildeter Fachkräfte. Hier zeigte sich während der Sendung: Der Bewerbungsprozess sollte so niedrigschwellig wie möglich sein. Ein Beispiel lieferte Isabell Benkwitz von der Werkstattkette IRS: In einem Videoeinspieler erklärte sie, wie der Bewerbungsprozess für neue Mitarbeiter via Whatsapp hürdenlos und rein digital vonstatten gehen kann. Juliane Randhahn betonte, dass sich soziale Medien als Akquisetool in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen haben. „Betriebe sollten dies wie ein Werkzeug benutzen, um ihr Image nach außen zu transportieren.“ Ingeborg Totzke fügte hinzu: „Das ist ein Netzwerk, das sich multipliziert – das können und sollten Betriebe für sich einsetzen.“ Auch für Betriebsinhaberin Isabelle Grundt und Werkstattleiterin Corina Müller ist die Arbeit auf Facebook, Instagram und Co. inzwischen zu einem essenziellen Tool geworden, um das eigene Unternehmen bei potenziellen Bewerbern zu präsentieren. ## Mitarbeiterbindung: Auf individuelle Bedürfnisse eingehen Die erfolgreiche und langfristige Mitarbeiterbindung ist eine weitere Maßnahme, um dem Fachkräftemangel in den Betrieben entgegenzuwirken – das ist ein weiteres Fazit der Web-TV-Sendung. Hier sahen die vier Talkgäste noch zahlreiche Möglichkeiten, wenngleich es natürlich kein Patentrezept gebe. Ein wichtiger Baustein sei aber die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – und zwar für Angestellte jedes Geschlechts. Das bestätigte auch Betriebsinhaber Michael Seidel aus Mainaschaff in einem Videoeinspieler. Natürlich müsse man den Angestellten die Möglichkeit bieten, Kinder
zu betreuen, waren sich die vier Expertinnen einig. Doch egal ob Vier-Tage- oder eine 43-Stunden-Woche, Teilzeitbetreuung oder Betriebskindergärten: Wichtig sei es, dasss die Betriebe flexibel auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter reagieren – unabhängig vom Geschlecht. Isabelle Grundt bestätigt aus der Praxis: „Wir unterscheiden nicht zwischen Männern oder Frauen bei den Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung. Ich wünschte, dass es gar kein Thema wäre.“ Das Unternehmen arbeitet aber derzeit an verschiedenen Arbeitszeitmodellen, um diesen unterschiedlichen Gehaltsgefüge und Arbeitszeiten flexibel zu begegnen. Zudem sei es wichtig, die Mitarbeiter zu motivieren und einen tollen Teamgeist zu entwickeln. „Am wichtigsten ist es, Mitarbeiter zu haben, die sich hier wohlfühlen. Das ist die Basis“, erklärt die Geschäftsführerin. Vor allem durch diese Soft Skills könne das Unternehmen der Industrie in der Gegend überhaupt die Stirn bieten. Das bestätigte auch Corina Müller: „Die Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern muss gegeben sein, um das Team langfristig an den Betrieb zu binden. Damit können wir Werkstäten punkten.“ ## Was raten die Talkgäste Betrieben und jungen Frauen? In der Abschlussrunde fassten die Talkgäste ihre Botschaften an die Betriebe und an junge Frauen, die sich für einen handwerklichen Beruf interessieren, noch einmal zusammen. „Jungen Frauen rate ich, das zu machen, was ihnen Spaß macht und sich dabei nicht von Konventionen aufhalten zu lassen. Wenn die Leidenschaft für Fahrzeugreparatur da ist, sollten sie dieser auch nachgehen“, meinte Isabelle Grundt. Den Betrieben rät die Geschäftsführerin, offen zu sein und eine Durchmischung des Teams mit Männern und Frauen zuzulassen. „Das ist toll für das Betriebsklima.“ Corina Müller appellierte zudem an die Werkstätten, offen für Neues zu sein – ob Social Media-Kanäle als Akquisetool für Azubis und Fachkräfte oder Flexibilität gegenüber unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen. Den jungen Frauen rät sie: „Einfach mal machen, mutig sein, in diesem Beruf etwas auszuprobieren.“ Bei diesen Fazits gegenüber den K&L-Betrieben stimmte Ingeborg Totzke ihren Vorrednerinnen zu: „Die Unternehmen sollten einfach authentisch bleiben. Mit einer positiven Ausstrahlung ziehen sie neue Fachkräfte an, die sie im Anschluss auch an sich binden können.“ Das Thema Offenheit sieht auch Juliane Randhahn als einen essenziellen Baustein für Betriebe: „Es ist wichtig, offen zu zeigen, was für ein modernes Berufsbild wir haben und genauso offen und flexibel mit modernen Tools wie Social Media umzugehen und diese gezielt einzusetzen.“ Denn so, ist sich die Key Account Managerin sicher, „sind Männer und Frauen in unserer Branche hoffentlich bald im Verhältnis 50:50 unterwegs.“
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